| Es wäre alles so schön gewesen, aber die Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Not und Unzufriedenheit hatte sich nun auch auf dem Land breit gemacht. Die Buben, die früher nach der Schulentlassung in irgendeiner Lehre einen Beruf fürs Leben erlernen konnten, fanden nirgends einen Lehrplatz und das war auch für die
Eltern schwer, sie sorgten sich ja um die Zukunft ihrer Kinder.
Was ich nun schreibe, hab ich zum Teil aus Büchern entnommen. Nach dem verlorenen ersten Weltkrieg war das ganze Rheinland besetztes Gebiet. Durch die Inflation war das ersparte Geld verloren gegangen. Es wurden sechs Parteien aufgestellt und durch eine Wahl wurde wie es auch heute ist, die Regierung bestimmt. In jedem Jahr fand eine Wahl zum Reichstag statt und immer wurde eine andere Regierung beauftragt, in der
Hoffnung, daß irgendwie eine Besserung zu erreichen wäre, aber es waren nun ein paar Jahre vergangen und der erhoffte Erfolg war ausgeblieben. Es wurden Versammlungen abgehalten, vor den Wahlen Versprechungen gemacht, die ja niemand halten konnte und in dem Jahr 1925 gab es eine neue Partei, NSDAP.
Da kam nun die Wahl in dem Jahr 1928, und diese neue Partei konnte 18% für sich verbuchen. Es liefen nun so weiter Wahlen, neue Regierungsbildung und die Arbeitslosenzahlen stiegen und
stiegen. Da hatte nun die Wahl einen Heinrich Brüning getroffen, er gehörte dem Zentrum an und es kam damals zu dieser verheerenden Wirtschaftskrise. Die Zahl der Arbeitslosen hatte die Sechs-Millionen-Grenze überschritten. Was sich damals in den Städten abgespielt hat, wir haben es damals erst später erfahren. Wieder war eine Wahl und diese neue Partei konnte fast die Hälfte der abgegebenen Stimmen für sich verbuchen. Unser damaliger Reichspräsident Paul von Hindenburg, dieser große deutsche
Mann, hat am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler berufen. "Der Kaiserliche Generalfeldmarschall und Reichspräsident der Republik wird zu einem großen, propagandistischen Erfolg für den neuen Machthaber." Das war der letzte Satz in dem Buch, aus welchem ich einzelne Daten entnommen habe. Ich habe nun diese Zeit miterlebt und ich möchte nun schreiben, wie es damals war und wie, nach jahrelanger Arbeitslosigkeit und damit verbundenen Schwierigkeiten, die in erster Linie die
jüngere Generation betroffen hatte, nach einem Ausweg aus dieser Hoffnungslosigkeit gesucht wurde. Da war nun diese neue Partei, es gab viele Versammlungen und die breite Masse sah hier den letzten Ausweg und es wurden Formationen zusammengestellt. Ich schreibe es nun so, wie ich es in meinem Heimatdorf erlebt habe. Es gab ja kein Radio und somit keinen Kontakt mit der Außenwelt, auch was die Zeitung brachte, gab wenig Aufschluß. In Rohnstadt wurde die SA gegründet, es waren junge Männer, die eine braune Uniform trugen, die "HJ Hitlerjugend" genannt, und "BDM Bund deutscher Mädel". Ich kann es mit guten Gewissen schreiben, hier war es nie zu einem Vorfall gekommen, worüber heute noch irrtümlicher Weise gesprochen wird. An uns ist niemand herangetreten, der
uns den Weg zur Kirche verboten hat, oder zu einem Austritt aus der Kirche geraten hat. Ich hatte damals die Führung der BDM-Schar übernommen, wir waren mit Langenbach und Weilmünster zusammengeschlossen. Wir trugen einheitliche Kleidung. Es war ein dunkelblauer Rock und eine weiße Bluse. Die Zusammenkünfte, die einmal in der Woche stattfanden, waren durch Vorlesungen, Singen und Heimspielen ausgefüllt. Wenn irgendeine Wahlversammlung
stattfinden sollte, wurde die SA als Saalschutz in Anspruch genommen, um irgendwelchen Ausschreitungen vorzubeugen. Das war nun die Zeit vor 33. Nachdem Hitler nun durch den Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Kanzler berufen war, gab es keine große Veränderung in unserem Dorf. Der Winter stand nun vor der Tür und wir wurden nun zu Sammlungen eingeteilt. "Niemand soll hungern und frieren", hat es damals geheißen und das war gut so, es gab ja so viel Armut. Wir führten Sammlungen
durch und die Leute spendeten von dem Wenigen, was sie selbst besaßen, reichlich. Dem Ortsgruppenleiter wurde alles übergeben, die Minderbemittelten in der Gemeinde wurden damit bedacht und was übrig war, wurde an die Kreisgeschäftsstelle weitergegeben.
Für die vielen Arbeitslosen war es nicht möglich, einen Arbeitsplatz zu finden und auch hier gab es eine Lösung. Der Reichsarbeitsdienst wurde
zusammengestellt. Ich möchte an die Baracken bei Weilmünster erinnern, die damals zur Unterbringung der Formation dienten. Es waren junge, arbeitslose Männer, die mit Kleidung, Essen und Unterkunft versorgt wurden und für den Straßenbau angestellt wurden. Wir haben damals mit Langenbach zusammen einen Theaterabend veranstaltet und den Erlös an die Kreisstelle weitergegeben. Ich habe in dieser Zeit
einen jungen SA Mann kennengelernt, der mein Lebenskamerad wurde. Am ersten Weihnachtsfeiertag '34 wurden wir in Langenbach getraut. Leider war die Kirche damals wegen Umbau nicht zu benutzen, alle kirchlichen Handlungen fanden im Schulsaal statt. Ich wurde nun Langenbacher Bürger, wir wohnten im Elternhaus meines Mannes. Mein Bruder war auch verlobt, meine angehende Schwägerin war von Emmershausen, ihre Eltern
besaßen auch eine kleine Landwirtschaft, sie hatte einen Bruder, der die Schreinerei des Vaters übernehmen sollte und sie war nun abkömmlich und so hat es keine Lücke in meinem Elternhaus gegeben. Uns verband ein herzliches Verhältnis und wir haben uns oft gegenseitig besucht. Mein Mann bekam nun bald einen Arbeitsplatz auf der Anstalt als Krankenpfleger und im Sommer kam unser erstes Kind, ein gesundes Mädchen, zur Welt. Wir kamen
finanziell über die Runden und waren zufrieden. Ich wechselte nun vom BDM. zur NS-Frauenschaft über und übernahm die Abrechnungsstelle für die Beiträge von Rohnstadt und Langenbach. Wir waren damals insgesamt 43 Mitglieder und die eingegangenen Beiträge wurden an die Kreisstelle weitergeleitet. Ich hatte mir als Kind so sehr noch ein paar Geschwisterchen gewünscht und nach zwei Jahren kam nun unser zweites Kind, ein Junge, zur Welt, nun hatte ich an meinen Kindern eine große Freude.
Wir bekamen eines Tages Besuch, eine Patentante meines Mannes hatte ein Anliegen. Sie besaß in der Mitte des Dorfes ein Haus mit Nebengebäuden, welches schon jahrelang vermietet war. Es war total vernachlässigt und dieses bot sie uns zum Kauf an, zu Zahlungsbedingungen, die wir verkraften konnten. Da gab es nichts zum Überlegen, nachdem die Mieter eine andere Wohnung hatten,
haben wir uns an die Arbeit gemacht. Wie es nun allgemein so ist, daß unvorhergesehene Arbeiten noch dazukommen. Mein Mann ließ sich oft zum Nachtdienst einteilen, damit wir tagsüber die schwersten Arbeiten gemeinsam tun konnten. Eines Tages kam mein Mann nach Hause und man hatte ihm im Betrieb eine Versetzung nach Hadamar angeboten und eine viel bessere Bezahlung in Aussicht gestellt, die hätten wir ja gut gebrauchen können.
Angeblich wurden schwer kranke Patienten verlegt und die Häuser, die frei wurden sollten wieder als Kindersanatorium genutzt werden. Ein Arbeitskollege meines Mannes hatte damals die Versetzung angenommen, aber für uns war es zeitlich nicht gelegen, wir waren ja am Umbauen unsrer Wohnung. Wir hatten oft Besuch, es kamen alte Männer, die noch mit der Bauweise dieser alten Häuser vertraut waren und in unserem
Haus gab es für sie manche schöne Erinnerung. In diesem Haus war vor langen Jahren eine Gastwirtschaft gewesen und im oberen Stock war damals der Tanzsaal und der dicke Holzbalken, der in der unteren Stube war, hatte daher seine Bedeutung. Wir haben gern ihre Ratschläge angenommen und ließen den Balken stehen, und weil der Raum groß war, haben wir eine Trennwand eingezogen und wir hatten somit zwei
Räume. Sie wußten so viel aus ihrem Leben zu erzählen und ihrer Meinung nach war's doch gut, daß der Hitler gekommen war. "Us gieht's doch etze gaut", und diese paar Worte hab ich nie vergessen können. In dieser Zeit waren viele junge Männer in meinem Alter zum Wehrdienst einberufen und mein Mann bekam eine Vorladung zu einer Untersuchung und am 1. April mußte er sich in Weilburg auf dem Windhof zu einer
vierteljährlichen Ausbildung melden.
Und nun blieb uns nur noch eine kurze Zeitspanne für die Arbeit, die wir nachdringend erledigen mußten, um einziehen zu können. Die Fenster, sie waren klein und die zerbrochenen Scheiben waren zum Teil durch Pappe ersetzt. Weil sie nicht mehr zu öffnen waren, hatte man einfach ein paar Nägel eingeschlagen. Der Schreiner Will nahm Maß. Es mußte ja das Fachwerk berücksichtigt werden und gemeinsam mit seinem Sohn
Heinrich hat er damals neue Fenster eingesetzt. Und die alte, schwere Haustür, die von ungeschickter Hand notdürftig ausgebessert war, hing so windschief in den Angeln, daß sie nur mit aller Gewalt zu bewegen war. Auch die Treppe zu dem oberen Stock konnte man nur mit aller Vorsicht benutzen. Aber das muß ich, obwohl beide Schreiner nicht mehr leben, doch erwähnen: Sie haben ihren Teil dazu beigetragen, daß wir unser
Vorhaben in so kurzer Zeit verwirklichen konnten. Nun ging es an die Einrichtung. Der alte, große, gußeiserne Ofen in der Stube durfte seinen Platz weiterhin behalten, den er bestimmt ein halbes Jahrhundert und mehr inne hatte. Wir haben ihn von Schmutz und Staub befreit und mit schwarzer Ofenwichse, die es damals gab, ihm ein neues Aussehen gegeben und er hat
uns noch einige Jahre gute Dienste geleistet. Ein Tisch, ein paar Stühle, ein Schränkchen, auf dem ein Grammophon aufgebaut war, im unteren Teil waren ein paar Schallplatten und ein Korbsessel, das war damals die Einrichtung unsrer Stube, lauter gebrauchte Sachen. Den Boden mußten wir aber erst mit brauner Farbe streichen, der Schreiner hatte ja schadhafte Stellen ausgebessert
In die Schlafstube haben wir damals ein großes Bett, welches in meinem Elternhaus auf dem Speicher stand, aufgestellt, zwei Kinderbetten und ein kleiner Schrank, das war nun unser Schlafzimmer, da war nun eine Zwischentür eingebaut, die in die Küche führte. Das Schlafzimmer, welches ich zur Hochzeit von den Eltern bekommen hatte, wurde in den Raum im oberen Stock aufgestellt, es war ja nach der Renovierung als
Schlafraum gedacht. Auch die Einrichtung der Küche bestand nur aus dem Allternotwendigsten, was man so täglich braucht. Wir waren gesund, hatten zwei Kinder und waren so mit dem Wenigen, was wir hatten, glücklich und zufrieden. Die Zeit, die mein Mann und ich bis dahin gemeinsam verlebt hatten, war nicht immer gut gewesen.
Oftmals kam die Patentante, die uns dieses Haus verkauft hatte und sie freute sich mit uns, daß wir in so kurzer Zeit alles so schön hergerichtet
hatten. Es gab wohl hier und da noch was zu verbessern. Vorerst konnten wir wohnen so wie es eben war, es war ein schönes Gefühl, es war unser Zuhause. Ich glaube damals war es nicht so, daß, wenn man größere Anschaffungen machen wollte, auf der Bank Geld aufnahm. Wir hatten Auslagen gehabt, es mußte fehlendes Material besorgt werden und die Rechnung von dem Schreiner wurde bezahlt, aber für neue Möbel war nun kein Geld da.
Es war nun Ende März und der Tag, wo mein Mann fort mußte, rückte immer näher. Es war sehr schade, aber wir trösteten uns damit, daß ein Vierteljahr ja keine Ewigkeit ist und Weilburg ist so keine große Entfernung, wir wollten dann das, was wir alles geplant, hatten fortsetzen.
Ich war nun in der Zeit, wo mein Mann in Weilburg war, nicht untätig gewesen. Meine Eltern hatten mir eine Nähmaschine geschenkt, ich habe
mich wohl sehr gefreut, aber ich glaube, daß es für sie ein Opfer war. Mein Bruder hatte inzwischen geheiratet und ein kleines Mädchen war angekommen, er stand nun auch wieder im Arbeitsverhältnis und gemeinsam mit den Eltern bebauten sie die Landwirtschaft.
Ich hatte mir zur Heimkehr meines Mannes eine kleine Überraschung ausgedacht. Es kamen oft Hausierer mit billigen Stoffresten und ich
wollte nun unsere kahle Wohnun ein bißchen gemütlich herrichten. Für die Fenster nähte ich kleine Gardinen und mein Bruder war mir behilflich beim Anbringen, auch Vorrichtungen für Rollos brachte er an. Aus Stoffresten, die einigermaßen in der Farbe zusammenpaßten, nähte ich Stuhlkissen und der Korbsessel sollte nun auch nicht mehr nackt dastehen. Die Mutter gab mir eine Federbettdecke, für die sie keine
Verwendung mehr hatte und so konnte ich alles, ohne großen Kostenaufwand, herstellen. Eine Tischdecke, die ich vor Jahren gestickt hatte, versah ich mit einer Spitze.
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